Warum ich gerne Etikettentrinker bin und das auch zugebe

Egon Müller Scharzhofberger feinste Auslese 1949

Hähne, Kanonen, Schiffe, Eisenbahnen, jede Art von Getier und mindestens doppelt so viele Wappen mit Sinnsprüchen für jede Lebenslage – es gibt wohl nichts, was nicht schon einmal auf einem Weinetikett abgebildet wurde. Jeder von uns stand wohl schon einmal vor der Aufgabe aus dem Etikett eines Weins wenigstens ein mittelmäßiges Lösemittel für die Frage nach dem Inhalt der Flasche zu destillieren. Grob gesagt gibt es dabei drei Schulen der Vorgehensweise zur Lösung dieses Problems: Zum einen die, welche ich die „protestantische“ nennen möchte. Hier wird davon ausgegangen, dass jeder Pomp von Übel ist und es nur auf den Geist der (oder in der) Flasche ankommt. Das Etikett kann also gar nicht schlicht genug sein, alles Ornament dient lediglich der schnöden Ablenkung vom Inhalt.

Langwerth von Simmern Hattenheimer Mannberg Riesling Auslese 1969

Die zweite Schule ist folgerichtig die „katholische“: Wer einen dramatischen Wein sucht, dessen Opulenz auf einer Stufe mit barocken Altarbildern des Alpenraums steht, wird sich eher an maximalgoldene Etiketten halten, die so verschnörkelt wirken, wie es vom Wein erwartet wird.

Berres Erdener Prälat hochfeine Auslese 1969

Die dritte Schule ist eher durch die Verwerfungen der Postmoderne gekennzeichnet – es ist die Schule des „Je hässlicher das Etikett, desto besser der Wein“. Meiner Meinung nach ist das eine Strategie, die besonders bei Champagnern funktioniert.

Maximin Grünhaus Herrenberg 1970

Unabhängig davon, wie man auf Etiketten reagiert, der Käufer wird immer (oder zumindest wenn der Akku des Smartphones mit der Cellartracker App leer ist) versuchen aus dem Etikett eine Botschaft über den Charakter des Weines abzuleiten.

Aschrott Hochheimer Hölle Riesling Spätlese halbtrocken 1986

Für mich als „hauptsächlich Riesling-Trinker“ bestand die Etikettenwelt dann auch bis vor ungefähr zehn Jahren überwiegend aus einem fast unübersehbarem Heer an Papier mit mehr oder weniger vielen und großen Wappen über oder unter dem Etikett wenn der Wein aus dem Rheingau kam, oder dem typischen Mosel-Etikett mit Blick auf das Gutsgebäude und der links davon angebrachten Information, dass die Mitglieder des VDP „Lagen von Weltruf besitzen“.

Domdechant Werner Hochheimer Rauchloch Riesling Spätlese 1966

Während aber die Winzer von Mosel, Saar und Ruwer mit nahezu buddhistischer Gleichmut an den traditionellen Etiketten festhielten, wurde im Rheingau seit den 80ern auf den Etiketten viel experimentiert. Wenn das Management im Fußball nicht mehr weiter weiß, folgt meist ein Trainerwechsel. Im Rheingau wurde im Fall des meist etwas verschwommenen Wunsches nach Veränderung erst einmal das Etikett gewechselt. Am deutlichsten wurde das bei den Staatsweingütern im Rheingau, deren preußischer Adler auf dem Etikett bis in die Mitte der 70er Jahre über die makellose Qualität in der Flasche wachte, der aber in den 90er Jahren nur noch seltsam verkleinert auf einem der lieblosesten Etiketten des ganzen Rheingaus geduldet wurde und mittlerweile idR ganz verschwunden ist.

Kloster Ebersbach Rüdesheimer Berg Rottland Riesling Eiswein-Auslese 1971

Hier ist es müßig zu überlegen, ob zuerst die Qualität in der Flasche schlechter wurde, und dann das Etikett angepasst wurde, oder ob sich die geschmackliche Qualität des übersehbaren Lables auf das Gemüt der Weinmacher und dann auf den Wein übertragen hat.

Schloss Johannisberg Riesling Spätlese 2002

Dagegen zeigt die Entwicklung der „Weinvisitenkarte“ von Schloss Johannisberg, wo man für mich bis in die 70Jahre nicht nur die beeindruckendsten Weine des Rheingaus erzeugte sondern auch das schönste Etikett besaß, wie eine Phase der schwankenden Qualität überwunden werden konnte indem man sich sowohl bei der Weinerzeugung als auch bei der Optik von alter Größe leiten ließ. Wirkte deren Etikett in den 80ern und frühen 90ern künstlich und grob, begeistert jetzt wieder der stahlstichartige, feine Blick auf das Schloss, wenn man eine Flasche des Weinguts in die Hand nimmt.

Schloss Eltz Eltviller Langenstück Riesling Beerenauslese 1917

Die Mosel mit ihren Nebenflüssen ist bei genauer Betrachtung dann auch nicht nur ein Hort der Etikettendenkmalpflege sondern bietet hier auch zwei weiteren Gruppen von Gestaltern eine Spielwiese. Zum einen gibt es hier ein Hand voll neuer Etiketten, die sich mit Absicht von jeglichem Historizismus abgrenzen. Klar, wieder erkennbar und elegant begeistert mich beispielsweise die Gestaltung des von Othegraven-Etiketts sehr, auch wenn ich lange an dem Lindgrün des 70er Jahre Flaschenaufklebers hing.

von Hövel Scharzhofberger Riesling Auslese 1983

Zum andern kann man an der Mosel einen Trend erkennen, der deutschlandweit beobachtbar ist – nämlich das Auftauchen von Flaschengestaltungen, die sich an einer Art-Neo-Jugendstil orientieren. Julian Haart hat hier vor ein paar Jahren mit einem pflanzenrankenden und dennoch klaren Etikett Maßstäbe gesetzt. Stefan Steinmetz und Christian Hermann haben mit ihrer Entscheidung ein ebenfalls am Jugendstil orientiertes Flaschenäußeres zu wählen für mich einen großen Coup gelandet. Da ja am Ende des 19ten und am Anfang des 20sten Jahrhunderts der Moselwein weltweit gefragt und begehrt war, liegt solch eine gestalterische Entscheidung nahe, doch erscheint es zunächst seltsam, warum grade die Etiketten aus dieser Zeit auf die Weinfreunde eine so große Anziehungskraft ausüben. Zum Einen ist es so, dass die Qualitätsikonen des Gebiets wie Egon Müller oder Maximin Grünhaus auch nahezu unverändert Designs aus dieser Zeit verwenden.

von Hövel Oberemmeler Hütte Riesling Auslese 1993

Andererseits gibt es auch kaum eine Epoche, deren Faszination für die Formen der Natur so gut mit unserem heutigen Idealbild vom Wein in Einklang steht. Die Formen der Natur sind „schön an sich“, es erscheint so, dass die konstruktions- und technikorientierte Gestaltungskraft der Schönheit einer Rebranke nur wenig entgegenzusetzen hätte. Carl Blossfeldt würde heute Wein in Amphoren erzeugen statt zu fotografieren. Dass das idyllischste und zugleich eleganteste Jugendstiletikett des von Schubert’schen Ritterguts mit dem Eintritt eines Stahlmagnaten in die Weingeschichte der Ruwer verknüpft ist, erscheint in diesem Zusammenhang wie ein 100 Jahre überspannender Treppenwitz der Geschichte.

Apollinar Joseph Koch Scharzhofberger Spätlese 1971

Liegt die Zukunft des Weinetiketts also in seiner Vergangenheit? Eins ist sicher, wir werden auch in Zukunft erst beim Öffnen der Flasche wissen, ob das Versprechen (oder die Drohung) des Stück Papiers auf dem Glas eingelöst wird. Wir werden aber auch in Zukunft immer Etikettentrinker bleiben, ob wir wollen oder nicht.

PS: Und jetzt werde ich eine Flasche Willi Schaefer Riesling öffnen und mich zum hundertsten Mal fragen, warum so eine grandioses Weingut immer noch eins der skurrilsten Etiketten der gesamten Mosel hat. 😉

Joh. Jos. Prüm Wehlener Sonnenuhr Riesling Spätlese 1995

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