Geschmacksverrückt – Ein Abend dies- und jenseits der Wahrnehmung

Vandermeulen

„Die müssen verrückt sein, reich und vollkommen verrückt.“ Ich glaube das war es, was man in dem Gesicht der Wirtin des kleinen Hotels an der Mosel lesen konnte, wenn man nicht mit dem Verstoffwechseln von Restalkohol beschäftigt gewesen wäre. Sie vergewisserte sich zweimal. Ob der Preis, den sie gehört hatte wirklich stimmte. Ja, sie hatte recht, wenigstens zum Teil wir waren verrückt. Ich für meinen Teil kann noch sagen, dass ich allerdings nicht reich bin, dennoch musste ich zu dieser Weinprobe; es war einer dieser Momente, in dem man fühlt, dass man etwas jetzt machen muß, will man es irgendwann im Leben einmal zuwege bringen. In diesem Fall ging es um eine Raritätenprobe wahrhaft Weinterminator-haften Zuschnitts. Mit Flaschen deren Existenz ich zwar erahnt hatte, bei denen ich mir aber nahezu sicher war, sie nie auch nur von ferne zu sehen; Burgunder aus den 40ern – antike Chateauneuf du Papes, rare Bordeaux‘. Und als Höhepunkt einen 1900er Chateau Lafitte (damals war die Schreibweise mit dem zweiten t noch üblich), einen dieser Weine, bei denen neben dem Geschmack, auch die Erfahrung zählt, ein Lebensmittel zu genießen, welches viel, sehr viel älter ist als der eigene Großvater. Lebendige Geschichte im besten Sinne.

Deswegen quält man sich zu Uhrzeiten aus dem Bett zu denen man 10 Jahre früher nachhause gekommen ist, deswegen nimmt man die drittweltartigen Verspätungsakkumulationen der Bahn auf sich und fährt von Hamburg bis an die Mosel, in Orte, die noch nicht mal Bahnanschluss haben.

Von Clos de Vougeot 1978 bis Rayas 2000

….wieso eigentlich genau, wenn man einmal von der bloßen Faszination des Alters absieht? Ist das nur so ein Hedonismus-Ding? Weine trinken als Distinktionsmerkmal? Die Suche nach der verlorenen Zeit? Kapitaler Eskapismus durch Kapital? Es ist vielleicht ein bisschen von allem (wenn man ehrlich ist – aber finde mal einen ehrlichen Weintrinker). Ich glaube, mein Hauptgrund diese Moselreise anzutreten bestand zur einen Hälfte aus echter Neugier und zum andern aus der vagen Hoffnung bei etwas Großem dabei zu sein, die Querbezüge und Verbindungen zwischen den Weinen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, zu erleben. Weintrinker sind Spieler, sie setzen Zeit, in der Hoffnung Erkenntnis zu gewinnen. Erkenntnis über den Wein hinter dem Wein. Was bleibt zurück, wenn alles überflüssige von einem Wein durch die Zeit abgeschmolzen wurde? Ist es Größe oder ist es Banalität oder bleibt nur eine Hand voll Staub? Der Altweintrinker als derjenige, der versucht die Struktur, den Bauplan, zu erkennen.

Spitzenburgunder von 1959 bis 2005

Die Veranstaltung fand in Bernkastel im Haus von Ernst Loosen statt, die Weine stammten aber zum überwiegenden Teil aus dem Keller eines saarländischen Weinfreunds, dem ich hier noch einmal besonders danken möchte. Gestartet wurde dann auch stilsicher mit einem 1955er Meursault Genevriéres, des fast schon mythischen, belgischen Handelshauses Vandermeulen. Dessen Abfüllungen roter Burgunder und Bordeaux genießen einen makellosen Ruf, der leider nur von der Beliebtheit dieser Weine bei Fälschern übertroffen wird. Wir hatten eine Flasche mit solider Provinienz, die auch vom Fleck weg überzeugte, neben der Nussigkeit, die Meursault oft zugeschrieben wird, zeigten sich Noten von Kastanie, aber auch Curry und Ingwer war auszumachen. Insgesamt ein sehr in sich ruhender Wein, wie ich ihn in der Art noch nie getrunken habe. Richtig schade war, dass wir mit den dann folgenden 2004er Meursaults und dem Montrachet kein Glück hatten. Comtes Lafon hat hier leider seinen etwas zweifelhaften Ruf, was die vorzeitige Alterung seiner Chardonnays angeht, bestätigt.

Meursault nur wenns hinterher auch Montrachet gibt....

Wie weggeblasen war die Enttäuschung, nachdem wir Biondi Santis 1970er Brunello Riserva im Glas hatten. Hier zeigte sich das erste Mal in der Probe, dass Burgunder nicht unbedingt aus dem Burgund kommen müssen. Die Finesse, die Transparenz und die vibrierende Säure dieses Weines hätte ihn auch blind als großen Burgunder von der Cote d’Or durchgehen lassen. Auch die Walderdbeer-Nase und die Trüffel-Aromen passten da gut ins Bild. Das war für mich einer der schönsten Weine der Probe und sicher einer der besten gereiften Rotweine, die ich je probieren durfte. Noch zarter war dann der 1961er Gaja Barbaresco, der im Glas fast nur noch als Idee eines großen Weins durchging. Wenn Weine träumen könnten, würden sie vielleicht ähnlich ätherische Ideenwelten hervorbringen.

Von den Burgundern möchte ich, bevor ich dann endlich zu dem 1900er komme, besonders den 1947er Clos de Vougeot aus einer Abfüllung des Handelshauses Leymarie hervorheben. Ähnlich wie bei dem Biondi-Santi entströmt dem Glas eine verschwenderische Trüffel-Note, Tabak von der feinsten Sorte. Ein wirklich überwältigend charmanter Wein, der zwar reif aber nicht alt wirkt.

Und dann kam der Lafite aus dem letzten Jahr des neunzehnten Jahrhunderts. Bei der Flasche handelte es sich um eine Abfüllung eines Münchner Händlers, genaueres ließ sich leider nicht mehr erkennen. Hier war der erste Wein der Probe im Glas, bei dem ich den Eindruck hatte, er wäre schon einen Tick zu alt, es gab auch ein paar schöne pilzige Aromen. Der Wein wirkte schon sehr mürbe, aber seine frühere Größe war wohl über die Ausgewogenheit und die Proportionen der entstandenen Ruine erahnbar. Oder um es mit den Worten eines Mittrinkers zu sagen: „Der Lotse ist von Bord aber das Schiff fährt weiter.“

Château Lafite Rothschild 1900

Noch älter und noch größer war dann aber das Ass im Ärmel jeder Probe mit sehr alten Weine. Es trat auf: Ein unzerstörbarer Madeira. Hier in Gestalt eines 1845er Cossart Gordon „Centenary Bual“. Das Haus Cossart-Gordon feierte 1845 hundertjähriges Bestehen und hatte deshalb großes Interesse an einem „1845er“. In dem hier verkosteten Wein finden sich wohl mehrere gute Jahrgänge bis in die 1850er Jahre, die dann teils im Fass teils in Glasballons reiften und irgendwann in den 1980er Jahren auf Flaschen gefüllt wurden. Der Wein hat auch schon direkt nach dem Öffnen eine sehr facettenreiche Nase in der sich Nüsse und vor allem Nougat neben Milchschokolade und etwas Orangenabrieb findet. Es ist nicht mehr allzuviel Süße merkbar und mir persönlich hat der Wein kurz nach dem Öffnen am Besten geschmeckt. Hätte ich noch eine Flasche würde ich sie nicht allzulange nach dem Öffnen stehen lassen. Ganz abgesehen davon, dass sie sowieso nicht lange halten würde. Ein wirklich sehr erhebendes Getränk, was zeigt, wie Geschmack und Geschichte sich gegenseitig beleben können, wenn man bedenkt, dass wir hier Zugang haben zu einem Wein, der grade gährte, als Wagners Tannhäuser uraufgeführt wurde, Heinrich Heine noch lebte und wir uns politisch noch vor der Revolution von 1848 befinden. Und das ist wirklich ein Erlebnis jenseits des Geschmacks, was mich beim Trinken des Weines zwar nicht verrückt aber doch etwas schwindlig gemacht hat.

Cossart-Gordon Madeira 1845

Die Weinliste dieses Abends:

Dr. Loosen
Riesling Sekt 1991 und die 2012er Riesling GG Reserve Kollektion

Bourgogne blanc
1955 Vandermeulen Meursault 1er Cru Les Genevrières
2004 Domaine des Comtes Lafon Meursault Clos de la Barre
2004 Domaine des Comtes Lafon Meursault 1er Cru Charmes
2004 Domaine des Comtes Lafon Meursault 1er Cru Les Perrières
2004 Domaine des Comtes Lafon Montrachet Grand Cru
1976 Maison Leroy Meursault 1er Cru Charmes

Bella Italia
1961 Gaja Barbaresco
1970 Biondi-Santi Brunello Riserva

Bourgogne rouge
2005 Armand Rousseau Ruchottes-Chambertin Clos des Ruchottes Grand Cru
1996 Domaine G. Roumier Bonnes Mares Grand Cru
1978 Domaine Jean Gros Clos Vougeot Grand Cru
1970 Coquard-Loison-Fleurot Clos de la Roche Grand Cru
1959 R. Clerget Pommard 1er Cru Clos Blanc
1948 Hospices de Beaune 1er Cru Cuvée Brunet

Chateauneuf du Pape
2000 Château Rayas
1983 Château de Beaucastel
1978 Domaine de la Janasse
1967 Château La Nerthe
1947 Cave du Val-Clos „La Belle du Roy“

Bordeaux
2003 Château Duhart-Milon
2002 Château Lafite Rothschild
1990 Château Duhart-Milon
1983 Château Lafite Rothschild
1900 Château Lafite Rothschild

Madeira
1845 Cossart-Gordon „Centenary Bual“

1 Kommentar

  1. Hallo Herr Kaiser,

    ich bin auf Ihren Blog gestoßen, weil ich nach einem 1959er POMMARD Clos Blanc von Domaine Roger Clerget recherchiert habe, den ich u.a. Weinen bei einer Haushaltsauflösung aus einem Großcontainer herausgefischt habe.
    Demnächst möchte ich bei der Weinbrüderschaft eine Burgunderprobe veranstalten (bin selbst Weinbruder) . Ich wäre gespannt auf Ihre Erfahrungen, die Sie mit dem Wein gemacht haben. Ich erkenne das an dem Etikett. Meine vorliegende Flasche ist speziell für die „L´union Franco-Allemande“ abgefüllt worden.

    Mit freundlichem Gruß

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